Ich war nicht aufgeregt. Ich war auf alles vorbereitet, dachte ich zumindest, und fuhr nach Süddeutschland an diesem sonnigen Samstag, den Kopf voller unterschiedlicher Gedanken, aber sicher und ohne Hektik.
Ich war sogar rechtzeitig in Wiesloch und konnte mir das Städtchen anschauen. Schön strukturiert und irgendwie stolz sah alles aus. Natürlich, ein großes Softwareunternehmen und dazu ein Finanzdienstleister sind in der Gegend ansässig. Die Buchhandlung sah ebenso stolz aus, die Menschen kauften Bücher und standen in der Schlange vor der Kasse. Ein tolles Bild!
Damals
Ich bin kein Kind von Bibliothekaren oder Buchhändlern gewesen, aber ich bin in einer Familie von Büchersammlern groß geworden. Mein Vater arbeitete unter Tage, meine Mama im Büro. Ich war 10, als wir in eine eigene Wohnung umzogen. Dort hatte ich sogar ein eigenes Zimmer. Mein Vater ging oft nach der Arbeit in eine Buchhandlung und kaufte mir ein Buch. Ich wurde grösser und meine Hände nahmen immer dickere Bücher in Empfang. Dostojewski, Turgenew oder Tolstoi bekam ich natürlich im Original. Englisch durfte ich auch lesen, schließlich war ich schon zum Englischkurs angemeldet, noch bevor ich Bulgarisch lesen konnte. Ich hatte keine Geschwister aber Bücher, eine Wandbibliothek voller Geschichten und Wissen. So habe ich in Bulgarien gelebt. „Der Zauberberg“ und „Faust“ habe ich geliebt und Heinrich Heine berührte schon damals meine junge Seele.
Und jetzt?
Nun stand ich vor dieser Buchhandlung und sah in der Tür ein Plakat mit meinem Gesicht auf dem Cover meines Buches zusammen mit den Infos über die Uhrzeit meiner Lesung. Jetzt kamen die Gedanken, die ich bis jetzt bewusst blockiert hatte. Plötzlich fühlte ich Unruhe, ein Kribbeln im Bauch und Aufregung, aber nicht, weil ich gleich vor Publikum stehen würde. Ich war gekommen, um diesen unbekannten Menschen aus meinem Buch, das mein Leben in Deutschland beschreibt, vorzulesen. Zwischen uns würde kein Podest und keinen Vorhang sein. Ich und nur ich, so wie ich bin, werde vor den Besuchern sitzen und ihre Fragen beantworten. Sie würden ganz nah vor mir sitzen und mit jedem Satz mehr und mehr in meine Seele schauen und danach beurteilen, ob diese Neudeutsche, die ich jetzt bin, glaubwürdig und authentisch ist. Und dann werden sie entscheiden, ob sie mein Buch kaufen oder nicht. Die Lese-Gäste kamen nacheinander herein. Dann folgte ich. Die Lesung begann…
Angekommen
Ich las, und mit jeder neuen Seite ließ ich meine Zuhörer tiefer und tiefer in mein Leben schauen. Ich versetzte die Menschen in die Jahre nach dem politischen Umbruch in Europa und führte sie nach Sofia, wo ich damals gewohnt hatte. Der 50-Mark-Schein, mit dem ich damals erstmals in ihre Welt gekommen war, wurde durch meine Erzählung wieder lebendig. So, dass ich das Gefühl hatte, jeder behüte – genauso, wie ich damals – ebenso einen solchen Schein in seiner Tasche; die beschriebene Enttäuschung, die mich überfiel, als ich die Absage von der Deutsche Welle bekommen hatte, schien den Leuten nachvollziehbar und meine Freude über die Zusage eines Stipendiums auch. Schließlich folgten mir meine Zuhörer auch in den Zug zurück nach Bulgarien. Dann kam der letzte Satz des Kapitels: „Auf Wiedersehen Köln, ich komme zurück! Für immer.“
Aus meinen Augen flossen Tränen der Emotionen. Der Moment, der mein Leben grundlegend geändert hatte, war wieder da und alles hatte sich erneut vor meinen Augen abgespielt.
Ich hob meinen Blick und schaute ins Publikum.
Viele dieser auf mich gerichteten Augen waren ebenfalls voller Tränen. Mehr Worte waren nicht nötig. Ich und meine Geschichte war angekommen. In dem richtigen Land.
Danke, Leute!