Er war ein Kind, gerade mal zehn Jahre alt. Ivan war sein Name.
Die erste Herztransplantation in Bulgarien hatte ihm ein neues Leben gegeben. Sie war erfolgreich, er fühlte sich gut und wir Journalisten durften darüber schreiben. Ich auch. Emotional, schnell und professionell brachte ich meine Begeisterung aufs Papier – und hatte Glück. Nicht nur meine Zeitung, sondern auch noch ein paar andere druckten meinen Artikel. Auf der ersten Seite!
Das fühlte sich toll an! Ich atmete tief, lächelte die Kollegen an, die mir gratulierten und betrat voller Stolz den Journalistenclub. Ich genoss den Erfolg wie jeder junge Mensch, der nach vielen bestandenen Prüfungen und Vorstellungsgesprächen in seinem Traumberuf die ersten Sonnenstrahlen spürt.
In den nächsten Monaten wurde Ivan von der Presse in Ruhe gelassen. Ab und zu erschien mal ein Foto von ihm beim Schach Spielen oder Malen zu Hause. Da die Herzchirurgie in Bulgarien noch in den Kinderschuhen steckte, war auch nicht so viel zu diskutieren in der Öffentlichkeit.
Ein Jahr danach, genau auf den Tag, dachte ich an den Geburtstag des neuen Herzes und rief am Morgen Ivans Mutter an. Sie stimmte meinem Besuch für den nächsten Tag zu. Voller Zuversicht, wieder mit einer Erfolgsstory glänzen zu können, machte ich mich auf den Weg. Meinen Sohn Dimitri, sieben Jahre alt, nahm ich mit. Ein Glücksgefühl auf den bevorstehenden Erfolg packte mich, ich fieberte beinahe und stellte mir die Gesichter der Kollegen vor, die nicht einmal an diesen Jahrestag gedacht hatten. Vorfreude pulsierte in meinem Herz als ich an Ivans Tür klingelte.
Seine Mutter öffnete …
„Mein Sohn ist heute Nacht gestorben!“, sprudelte es aus ihr heraus.
Dimitri hielt fest meine Hand und weinte. Ich war versteinert und konnte kein Wort sagen. Zwei Mütter standen sich gegenüber. Eine hatte gerade ihr Kind verloren.
„Mama komm“, sagte mein Sohn. „Mama komm“, wiederholte er.
Ich trat zurück und ging.
Meine Gefühle überschlugen sich. Enttäuschung? Niederlage?
Schau in deinen inneren Spiegel!
Nein! Scham und schonungslose Einsamkeit fühlte ich in diesem Moment. Auf einmal stand ich vor meinem inneren Spiegel und fühlte mich zerbrochen. Ich hatte keine Sekunde an den Jungen gedacht, als ich meinen Plan strickte! Ich hatte an meinen Artikel, meine Karriere und den Erfolg gedacht. Und jetzt?
Hier gab es kein „Jetzt“ mehr. Die Chance, mich in meinem inneren Spiegel zu sehen, stellte alles auf den Kopf. Ich fragte mich, ob ich wirklich weiter Journalistin seien wollte, oder sollte ich zu meinem ersten Beruf als Lehrerin zurückkehren? Während ich diese Frage mit mir herumtrug, entwickelte sich meine neue Strategie. Diese Strategie ist der Dialog mit mir selbst. In mir änderte sich viel, aber vor allem mein Bezug zum Erfolg. Das Lob und die Bewunderung der anderen traten in den Hintergrund und machten der Einfühlsamkeit zu den Menschen, die ich portraitierte, Platz. Ich sprach fortan mit ihnen, um sie so zu beschreiben, wie sie wirklich sind, nahm ihre Werte auf und trug sie weiter, damit sie verstanden wurden.
Die Geschichte von Ivan begleitet mich bis heute. Eine Geschichte, die wie ein Leuchtturm meinen Weg weist und dafür sorgt, dass ich mich nicht verrenne. Erfolgreich bist du nicht, wenn dir alle applaudieren. Erfolgreich bist du, wenn du im Spiegel den Menschen siehst, der innehält und leise „Danke“ sagen kann. Dankbarkeit ist das Zeichen, dass du dir treu bist und Schritt für Schritt an deiner Entwicklung arbeitest.
Ich habe in dieser traurigen Geschichte den Mut gefunden, mir selbst treu zu sein.