Die meisten meiner deutschen Mitarbeiter nennen mich „Chefin“. Fragen Sie nicht, wie diese Bezeichnung zustande gekommen ist. In Südafrika werde ich kurz und knapp „Boss“ genannt. Bis jetzt hatte ich mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht, ob ich eine gute „Chefin“ bin oder nicht. Bisher ging es nur um die Formel:
Business plus Business gleich Profit.
Bis jetzt.
Als sich die schrecklichen Nachrichten über die immer weiter wachsenden Dimensionen des Coronavirus in Deutschland überschlugen, musste ich schnell handeln: Homeoffice! – war mein Rettungsring, und ich habe ihn in allen Städten, in denen meine Firma Lingua-World positioniert ist, geworfen. In Laufe eines einzigen Tages wurden die Kabel gezogen, Laptops, Computer und sogar Drucker in Taschen gesteckt und in die Wohnungen der Mitarbeiter getragen. Im Hauptsitz in Köln war das irgendwie schwieriger, da von dort der Rückenwind für alle Filialen kommt. Das hat aber auch geklappt und wir alle waren in Sicherheit!
Nach dieser schnellen Operation fuhr der Betrieb wieder in ruhigeren Gewässern und alles funktionierte – wie bisher. Meine Aufgabe war nun, das Schiff weiterzusteuern. In neuen, unbekannten Gewässern, denn so eine Krise hat bisher keiner gekannt.
„Chefin“, ich möchte auch was machen! – sagte Martha am Telefon. „Martha?“ Ach ja, eine junge Projektmanagerin aus der Frankfurter Filiale, die im vergangener Jahr an Herzen erkrankt war, hatte keinen Laptop und auch keinen Hinweis zum Wechsel ins Homeoffice erhalten. Meine Anweisung lautete kurz: “Sie soll einfach zuhause bleiben und sich schützen.“
Von wegen. Martha holte am Wochenende ihren Computer vom Büro ab und wollte arbeiten.
Dasselbe passierte in Johannesburg. Computer und Laptops wurden in den Kleintransporter aufgeladen und die Kunden von zuhause aus weiter bedient.
„I am at home, boss!“
schrieb ein Mitarbeiter dort auf Whatsapp und ich stellte mir für ein paar Minuten den Horror vor. Ein Zimmer, geteilt mit anderen Familienmitgliedern in Soweto, war zur Betriebsstätte von Lingua-World Südafrika geworden. Kein Internet, die mühsame Verbindung mittels Telefon und dazu noch die Einbruchgefahr und die Kriminalität.
Krisenmanagement ist wahrscheinlich die Bezeichnung für alle Handlungen, die wir jetzt vornehmen, ohne uns so richtig zu fragen, wer der Manager und wer sein Assistent ist. Martha hat meine Anweisung nicht akzeptiert, die Südafrikaner haben sich die Anweisungen selbst erteilt, und alle anderen haben am „Esstisch“ ihre Büroeinrichtung ausgebreitet.
Währenddessen habe ich mit meinem Prokuristen alle Anträge vorbereitet und bei unserer nunmehr täglichen Videokonferenz darüber berichtet. „Gut gemacht Chefin“, sagte jemand.
Ich bin keine Chefin und kein Boss. Ich bin eine Arbeitskraft, die den Job hat, das Schiff auf den richtigen Kurs zu führen. Und ich bin nicht alleine! In meiner Firma gibt es viele Chefs und Chefinnen. In meiner Firma gibt es Menschen, die sich und mir die Hände reichen, nur jetzt eben digital. Diese Hände bilden ein Sicherheitsnetz, das unsere Schwächen, unsere Fehler und unsere Ängste auffängt. Besonders jetzt brauchen wir das Team und die neue Führung, die auf Gemeinsamkeit besteht.
Meine Aufgabe ist es, den Kurs so weit wie nötig zu ändern, um das Auflaufen zu verhindern.
Dafür habe ich einen Leuchtturm: die Menschen, die mir den Weg zeigen. Besonders in Zeiten wie diesen.