Was hat mich zum Erfolg gebracht? – Teil 15: Die Expansion nach Afrika. Eine Schule fürs Leben

Es war wieder ein Tag zum Chillen, ein Tag an dem ich wieder keinen Millimeter vorangekommen war. Ich starrte auf die Excel-Tabelle mit dem Businessplan und klappte zum zweiten Mal an diesem Morgen den Computer zu. „Keine Ahnung, wie ich das alles schaffen soll“ – dachte ich und versuchte erneut, die Webdesign-Firma zu kontaktieren, die an der Webseite meiner südafrikanischen Firma arbeitete. Mein Ansprechpartner war wieder „in einem Meeting“, hieß es. Bei unserem letzten Treffen war mir versprochen worden, den Content der deutschen Webseite nicht einfach zu kopieren, um keinen Doppelcontent zu produzieren. Doch der Texter dort fand es offenbar einfacher, statt nach dem Briefing neue Texte zu schreiben, die englische Übersetzung der deutschen Seite zu übernehmen. Und jetzt auch noch das: In dem Registrierungsportal war unter dem Domainnamen statt meiner Firma Lingua-World als Inhaber die Webdesign-Firma eingetragen! Meine Gedanken ratterten von links nach rechts und ich fragte mich, ob ich direkt zur Polizei gehen oder weiter versuchen sollte, meinen Ansprechpartner zu erreichen.

Nelly Kostadinova mit Kindern in Soweto

Ein hartes Pflaster und kein Millimeter voran

Auch nach weiteren zwei Tagen war ich im gleichen Zustand. Keine Webseite, keinen vernünftigen Text, kein Eigentum an der eigenen Domain. Das Anmieten eines Büroraums lief träge, das Kaufen eines Autos war kompliziert … Das Einzige, was ich als erfolgreich bezeichnen konnte, waren die Vorstellungsgespräche, die ich führte. Kandidaten gab es genug, das Interesse an meinen Arbeitsplätzen war groß. Da ich noch kein Büro hatte, führte ich die Gespräche draußen, im Garten meiner Vermieter. Die Bewerber kamen, ich sprach mit ihnen und machte mir Notizen. Für die zweite Runde verteilte ich einen Test, den mir die Bewerber per Mail zurückschicken sollten.

An diesem „Chilltag“, an dem ich wieder niemanden erreichen konnte, entschied ich mich zu handeln. Ich nahm ein Taxi und fuhr zu der Autovermittlungsstelle. Das Auto, das ich reserviert hatte, stand bereit, und ich fuhr Downtown. Hier befand sich die Steuerbehörde, die mir eine Steuernummer geben sollte. Ich parkte vor der Tür und stellte mich an. Wieder Pech! Ich erwischte beim Warten die Mittagspause. Auch das funktionierte nicht.

Zurück in der Wohnung, entschied ich mich, meine deutsche Firma zu kontaktieren und diesen Arbeitstag weiter mit Beschäftigungen in Deutschland zu verbringen. Nach dem Skype-Signal sah ich am Bildschirm das Gesicht meiner Teamleiterin.

„Na, haben Sie schon Aufträge?“ – fragte das neugierige junge Gesicht, verpackt in einen dicken Schal. Natürlich, Ende Oktober in Deutschland, manche vertragen die Herbstumstellung nicht. Mein Sommerkleid wirkte dagegen stimmungsvoll, obwohl die Realität um mich herum alles andere als fröhlich war. Was! Aufträge! – Ich dachte, ich höre nicht richtig! Was denken diese Leute denn? Nach 3 Monaten in Afrika läuft das Geschäft schon, oder wie?

In Afrika musste ich eine andere Bedeutung des Ausdrucks „warten“ kennenlernen. Ich musste ein neues Wort dazu lernen. Geduld. In Deutschland punkte ich mit Schnelligkeit, Agilität und Engagement. Hier versperrte ich mir die Türen, sobald ein Zeichen von Ungeduld zu spüren war. Mittagspausen waren heilig, lange Meetings eine Frage der Ehre. Und Zahlung im Voraus war eine Selbstverständlichkeit im Dienstleistungsbereich.

Nelly Kostadinova mit Team in Südafrika

Ich wurde auf einmal „Angela Merkel“ genannt

In einem von diesen „was mache ich jetzt?“–Momenten ging ich erneut zum Steueramt, um den nächsten Versuch zu starten. Ich parkte wieder und plötzlich tauchte ein dünner, großer Junge vor mir auf. Sein Unterkörper war bedeckt von einer Hose mit kleinen und großen Löchern, sein Oberkörper trug eine orangene Weste, die auf Straßenverkehrsüberwachung hindeutete. Er schaute mich böse an und ließ wissen, dass ich für das Parken zu bezahlen habe. Ich zeigte den Zettel an der vorderen Scheibe. „Nicht diesen“ – erklärte er, „für´s Autoaufpassen“. Der Preis, den er mir nannte, war vergleichbar mit den Preisen für das Parken in der Kölner Innenstadt. Ich zog den 20 Rand Schein heraus und steckte ihn in seine Hand. „What´s your name?“ – fragte er jetzt freundlicher. „Guess!“ – antwortete ich angesteckt von seiner Frechheit. „Angela. Angela Merkel“ – lachte er diesmal breit, offensichtlich stolz auf seine politischen Kenntnisse.

So ging es auch weiter. Der Junge passte auch in den nächsten Monaten auf mein Auto auf – tatsächlich! Ich hatte mir bereits einen kleinen Honda gekauft und war froh über seine Dienste, da Autodiebstähle keine Seltenheit in Downtown Johannesburg waren. „Hi, Angela“ – grüßte der Junge seine gut zahlende Kundin und erzählte jedes Mal etwas mehr über sich. So wusste ich, dass er in Soweto wohnte, die Schule abgeschlossen und Interessen an Politik und Fußball hatte. Er kannte die Namen aller deutschen Nationalspieler und sogar ein paar vom 1. FC Köln. Ich erzählte ihm auch, was ich so mache in Johannesburg.

Der Spiegel des Erfolgs

Etwa zwei Monate später suchte ich meinen üblichen Parkplatz im Downtown. Der 20 Rand Schein lag schon in meiner Hand, und ich schaute mich nach dem Jungen um. Statt alter Hose und oranger Weste stand ein adretter junger Mann am Parkplatz und wartete auf mich. In der Hand hielt er ein Blatt Papier. Rasiert, gewaschen, frisch angezogen … ich traute meinen Augen nicht und suchte nach Ähnlichkeiten mit dem Jungen aus Soweto, dem Autoaufpasser.

„My name is Victor, Angela“ – sagte er lächelnd und zu mir drang der Duft seines Rasierwassers. „This is my CV and my application for a job in your company“.

Perplex nahm ich das Papier aus seiner Hand und schaute darauf:

Ganz oben auf seinem Bewerbungsschreiben las ich:

To Mrs. Nelly Kostadinova

Lingua-World (Pty) Ltd

Mein Name, meine Firma und die richtige Adresse. Alles war dabei!

Vor meinen Augen erschien der Moment meines ersten Parkens in Downtown. Es war ein unproduktiver „Chilltag“ … Ich hatte keine Steuernummer, kein Büro und keine Webseite … Jetzt stand alles perfekt auf dem Bewerbungsschreiben. Ich verspürte Freude und Stolz …

„See you tomorrow at 8! Do you know where to come?“

Victor nickte, drehte sich um und ging.

Mein Auto blieb ohne Aufpasser auf der Straße …