Was hat mich zum Erfolg gebracht? – Teil 18: Diebstahl aus dem Pool des Vertrauens

Zurück zur Niederlage bedeutet natürlich nicht dortbleiben, es dabei bewenden zu lassen. Zurück bedeutet, einen Blick auf die Erfahrung zu werfen, die du am liebsten für immer vergessen wolltest. Diese Art von Erfahrung ist mehr oder weniger in jedem Leben vorhanden. Manche Leute sagen „darüber will ich nicht reden“, und andere erzählen stolz ihre Erfahrung und genießen es, über die guten Ergebnisse danach zu sprechen.

Geldscheine

Meine schlechteste Erfahrung als Unternehmerin liegt gar nicht in der tiefen Vergangenheit. Leider. Wäre mir das während der Gründung meiner Firma passiert, hätte ich gedacht „Anfängerfehler“, aber nach so vielen Jahren in Business? Jetzt blicke ich zurück und kann erkennen, was daraus geworden ist.

Es war eine dieser Nächte im Winter, in denen sich die Stille wie ein Schrei anfühlt. Die Nacht ist lang, die Luft ist kalt, alles schläft, und es ist einfach unerträglich still. Ich wickelte mir den Schal um den Hals und entschied mich ins Büro zu gehen, schlafen konnte ich sowieso nicht.

Auf dem Schreibtisch hatte ich gestern meine Post erst mal zur Seite gelegt. Ein ungeöffneter Brief lag dort, die handgeschriebene Adresse und der Vermerk „persönlich“…, ich begann zu lesen. Es war der Brief einer Auszubildenden aus der Aachener Filiale: 10.000 EUR, – diese Summe sollte nach und nach von ihrer Ausbilderin aus der Bürokasse entwendet worden sein! Ich rieb meine Augen und begann erneut zu lesen. Das junge Mädchen beschrieb die Schritte des Diebstals und beschuldigte die eigene Ausbilderin. Am Ende stand der Satz:

„Ich beende hiermit die Ausbildung in Ihrem Betrieb!“

Zwei Frauen. Zwei verschiedene Positionen. Zwei Menschen und eine Schlucht, in die 10.000 EUR verschwunden waren. Bis zum Arbeitsbeginn gab es noch eine Stunde. Dann konnte ich überprüfen, wie diese Schlucht entstanden war. Konten, Berichte, Bankauszüge, Aufträge und Zahlungsbelege, all das würde der Weg der Prüfung sein. Aber bis zum Arbeitsbeginn hatte ich noch genug Zeit, um mich zu fragen: wie ist das zustande gekommen? Wo habe ich das Vertrauen überdosiert, wo habe ich die Kommunikation vernachlässigt, wie habe ich es geschafft, eine junge Frau so alleine zu lassen, dass sie monatelang die schweigende Beobachterin einer Straftat werden konnte!

Die Fragen, die mich in dieser einen Stunde überfluteten, stellten schließlich meine Fähigkeit als Arbeit- und als Chancengeberin in Frage. Ich hatte so gerne eine Kauffrau ausbilden wollen, die in diesem Dreiländereck wohnte und Deutsch sowie Flämisch als Muttersprachen hatte, um die Kunden auf beiden Seiten der Grenzen zu bedienen! Diese Fähigkeiten hatte die Ausbilderin auch, und die beiden Frauen hatten doch augenscheinlich hervorragend miteinander gearbeitet, dachte ich. Warum meldet sich die junge Frau jetzt, der Diebstahl fand doch bereits während der letzten 6 Monate statt? „Warum hat sie mich nicht früher angesprochen?“ – das war die Frage, – nein, nicht die Frage, sondern der Vorwurf, den ich in dieser frühen Stunde zunächst dem jungen Mädchen machte.

Doch dieser Vorwurf wechselte langsam die Richtung. Ich stellte mir die Frage:

WO bist DU gewesen? Ja, ICH! Ich hatte die beiden als Team definiert, ich hatte die Arbeitsprozesse definiert, aber ich hatte die junge Frau mit ihrer Ausbilderin allein gelassen. Und schließlich hatte auch ich Kontrolle verloren!

Nach der Prüfung in der Buchhaltung stellte sich heraus, dass die Ausbilderin eingenommenes Geld nicht auf das Firmenkonto eingezahlt, sondern in die eigene Tasche gesteckt hatte. Der Informationsfluss zwischen Buchhaltung und Filiale lag damals im grauen Bereich und war allein mit dem Wort Vertrauen gestempelt.

Ist es das Vertrauen, das Menschen in Versuchung führt?

Nein, natürlich nicht. Vertrauen ist die Wertschätzung, die du deinem Gegenüber entgegenbringst, besonders, wenn du Menschen die Chancen geben möchtest, sich zu entwickeln. Das Vertrauen war in meinem Fall aber durch Lässigkeit ersetzt worden, die es mir einfach machte, Menschen zu führen, ohne sie auch aktiv zu unterstützen. Ich hatte die Ausbildung allein in die Hände meiner Angestellten gelegt und die Auszubildende mit ihren Nöten allein gelassen. Die Lässigkeit im Arbeitsprozess war hier durch die Nachlässigkeit in der Kommunikation gefördert worden. Das ist meine Feststellung heute.

Die Summe von 10.000 EUR wurde schließlich in Raten zurückgezahlt. Die Ausbilderin habe ich natürlich sofort gekündigt. Die Auszubildende hat meinen Betrieb leider für immer verlassen.

Ich bin jetzt auf diesem Fall zurückgekommen, um mich für die Lehre zu bedanken. Seitdem ziehe ich klare Grenzen zwischen Vertrauen und Kommunikation. Gute fachliche Kommunikation in einem Betrieb stärkt das Vertrauen und begleitet Menschen in ihrer Entwicklung. Und wenn Unsicherheit, Geldprobleme oder Verzweiflung in deren Leben tritt, dann hilft uns die fachliche Kommunikation zu erkennen, wo Bedarf an Unterstützung ist. Denn unsere Mitarbeiter öffnen sich, wenn wir aktiv kommunizieren und offen für Gespräche sind.

Das war eine richtige Niederlage für mich. Ein Diebstahl aus dem Pool des Vertrauens.

Ich habe danach viele Sachen verändert. Bei den Arbeitsprozessen und bei mir. Vor allem begann ich, die Menschen besser zu verstehen und ihnen zuzuhören.

Mit diesem Verständnis ging’s weiter voran.