Verlieren kam gar nicht in Frage!
Dennoch bekam ich diese verdammte E-Mail mit der Info, dass uns der Auftrag im Wert von 180.000 Euro entzogen wird. „Qualität nicht ausreichend!“ – stand sogar in der Betreffzeile. Es folgten ein paar Beispiele, die ich nicht nachvollziehen konnte, weil diese in Portugiesisch verfasst waren. 10 Minuten später hatte ich die Bestätigung eines portugiesischen Übersetzers, dass unser Kunde Recht hatte.
Ich hatte den Auftrag verloren! Das stand eindeutig für mich fest, und ich begann die E-Mail wieder und wieder zu lesen. „Nein!“, schrie meine Seele, obwohl die Tatsachen so eindeutig waren. Ich nahm das Telefon und wählte die Nummer aus der E-Mail. „069 – Frankfurt“, dachte ich und versuchte, mich anhand der Adresse zu orientieren. „Große Firma, Büro im Zentrum…Ah, vielleicht lässt sich mit dem Kunden reden.“ Nach langem Klingeln und deutlicher Umleitung hörte ich das erwartete „Hallo“. „Guten Tag, mein Name ist…“ Im zweiten Satz wurde ich unterbrochen mit den Worten: „Ich habe Ihnen bereits geschrieben, wir haben nichts mehr zu besprechen!“ „Ich komme morgen früh zu Ihnen!“, versuchte ich es energisch weiter. Wieder wurde ich unterbrochen: „Ich bin noch in Spanien, fliege morgen Abend zurück.“
„Dann übermorgen um 11!“, war mein schnelles Statement, und ich legte auf, um das „Nein“ nicht zu hören. Ab jetzt hieß meine Strategie:
„Kunde zurückgewinnen.“
An dem besagten Übermorgen fuhr ich dann von Köln nach Frankfurt, ohne überhaupt sicher zu sein, dass ich empfangen werde. Ich hatte mich selbst eingeladen, und zwar, nachdem ich als Dienstleister abgewiesen worden war. „Was für eine Frechheit!“, denke ich heute. Damals war das nicht so. Wenn wir heute einen erfahrenen Vertriebstrainer nach seiner Meinung fragen würden, fände er bestimmt lobende Worte für die Eigeninitiative, aber sicher nicht für die Frechheit, einen Kunden zu bedrängen.
In der Tat wurde ich pünktlich um 11 Uhr am Empfang dort abgeholt und sogar mit Kaffee begrüßt.
Ich saß am Besprechungstisch des Kunden und ein portugiesischer Student protokollierte schließlich die neuen Vereinbarungen, Liefertermine, Qualitätsansprüche und Zuständigkeiten. Ich verstand langsam, dass dieser Student die Gelegenheit genutzt hatte, sich bei unserem Kunden zu profilieren und keinen Platz zur Nachbesserung gelassen hatte. Aber das persönliche Gespräch änderte diese Konstellation schnell. Der Student schaute mich jetzt freundlicher an. Mein Temperament und „Überlebenskampf“ hatten ihn beeindruckt und wir wurden zu einem Team. Wir bildeten das Bündnis „Qualität“ und gingen in diesem Projekt Hand in Hand weiter.
Happy End! Unsere weitere Arbeit wurde gut bewertet und der Kunde unterzeichnete einen Dienstleistungsvertrag für den Zeitraum von 7 Jahren, aufgrund unserer perfekten Unterlagen in der portugiesischen Sprache. Die 180.000 Euro wurden rechtzeitig bezahlt und dieser Fall wurde Geschichte.
Gewinnerin! – war meine Bezeichnung für mich selbst,
und meine Selbstsicherheit wuchs ein ganzes Stück nach oben. Hier geht es aber nicht so sehr um die 180.000 Euro, sondern um die Entschlossenheit. Gewinnen! – hieß meine Entscheidung nach dem Erhalt der E-Mail, aber was hätte ich gemacht, wenn ich den Auftrag wirklich verloren hätte.
Ich hätte mich bestimmt geärgert, zweifelsohne. Ich hätte tief in mir geschimpft und die Mitarbeiter, die in dieses Projekt involviert waren, um Stellungnahme gebeten. Und dann? Hätte ich ebenso daraus gelernt. Eine Projektabwicklung erfordert strenge und kontrollierbare Schritte, die dieses Projekt zur Kundenzufriedenheit führen.
Ihr ahnt sicher schon, woran die Qualität unserer Arbeit anfangs gelitten hatte. An der Kommunikation natürlich. Das Gespräch, das ich nach diesem kurzen Telefonkampf bei und mit dem Kunden geführt hatte, hätte ich vorher führen müssen. Ich hätte die einzelnen Schritte mit dem Kunden und dann die Vereinbarungen aus der Besprechung vor Beginn des Projekts abstimmen und protokollieren lassen müssen. Stattdessen hatte ich das Projekt ohne große Abstimmungen gestartet und dessen Führung sogar aus der Hand gegeben.
Delegieren, aber was und wieweit – das ist hier die Frage. Führung ist Verantwortung, das wissen wir schon. Wie viel Freiheit lassen wir zu, um die Kreativität der Mitarbeiter zu fördern? Ich hatte mein Projekt nach diesem holprigen Anfang doch noch zum Erfolg gebracht, aber erst, nachdem ich meine eigenen Fehler verstanden und korrigiert hatte. Die Verantwortung eines großen Projektes kann man nicht restlos abgeben. Führen ist die Aufgabe einer Führungskraft! Und man muss bereit sein zu gewinnen und dafür alles zu geben. Wenn ich gewinnen sage, meine ich nicht zocken. Gewinnen ist das Resultat eines gut strukturierten Arbeitsprozesses, in dem die Aufgaben jedes Einzelnen klar definiert sind.
Meine Erfahrung von damals vergleiche ich heute mit einem Wettkampf. Ich konnte meine Fehler rechtzeitig korrigieren und gegenseitig konnten wir uns unsere Vorstellungen und Möglichkeiten transparent machen.
Unter dem Strich bleiben für mich drei simple Regeln:
Gewinnen – ja!
Fehler machen – erlaubt!
Eigene Verantwortung abgeben – Nein!
Wir wachsen fachlich, aber auch persönlich! Das ist das Schönste dabei!