In diesem Seminar unter dem Titel „Verkaufen“ war ich die einzige Frau. Der Seminarleiter, ein Kavalier der alten Schule, wandte sich bei jeder Gelegenheit hoch offiziell an die Teilnehmer mit den Worten: „Sehr geehrte Frau Kostadinova und meine Herren…“ Er sollte meinen Sinn für Vertrieb schärfen und die Stufen einer Vertriebsstruktur verdeutlichen. In der Pause habe ich meine Tasche genommen und das Seminar verlassen. Die Aktualisierung meiner Vertriebskenntnisse habe ich auf ein unbestimmtes „später“ verschoben. Es war eine Mauer zwischen den Männern und mir. Nicht aufgrund der Tatsache, dass ich die einzige Frau dort war, sondern wegen des falschen Ausgangspunkts. Als Inhaberin eines mittelständigen Unternehmens wollte ich nicht wirklich die einzelnen Vertriebstaktiken erlernen. Mir ging es um die Einstellung: Wieso verkaufe ich, was verkaufe ich, wem verkaufe ich welche meiner Dienstleistungen? Ab dann lernte ich Vertrieb in der Praxis und habe nie mehr ein Seminar besucht.
Ich reiste geschäftlich auch häufig in verschiedene Länder und hielt meine Augen stets offen für die Wirtschaft dort, deren Business-Mentalität und natürlich auch für die Besonderheiten des Verhandelns.
„Basar im Business“
sagt man über den Verkaufsstil in Asien, aber diese Behauptung ist nicht 100 %-ig richtig. Sunzi – General und Philosoph – war zwar Chinese, aber sein Aphorismus aus der „Kunst des Krieges“ gilt auch hier: „Wenn du Deinen Feind kennst und Dich kennst, brauchst Du den Ausgang von 100 Schlachten nicht zu fürchten.“
In Japan hingegen sucht man nach einvernehmlichen Lösungen, wobei ein kleiner Preispoker nicht ausgeschlossen ist. Für den Japaner ist es wichtig, dass er sein „Gesicht“ wahren kann. Mehrwert ist ein Zauberwort in Japan. „Tit for tat“ oder „Give and take“ ist hier die Strategie. Höhere Abnahmemengen, eine Bündelung mit mehreren Produkten oder eine frühere Bestellung bzw. Lieferung gehören dazu.
In China hat man das Gefühl, dass Handeln ein Nationalsport ist. Die Chinesen lieben es zu handeln. Es geht hier aber weniger um die harten Bandagen an sich, sondern mehr darum, beiderseits das Gesicht zu wahren – wie so oft in Asien. Aber Achtung beim Unterschreiben des Vertrags. Während bei uns ein Vertrag etwas „Bindendes“ darstellt, ist er für Chinesen eher eine Art Rahmenwerk, innerhalb dessen die folgende Geschäftsbeziehung mehr oder weniger frei gestaltet werden kann. Während wir uns nach der Unterzeichnung erst einmal erleichtert zurücklehnen und uns auf diesen Status Quo verlassen, geht aus chinesischer Sicht nun ein Prozess los, der alles andere als statisch ist und noch jede Menge Gestaltungsfreiheit bietet. Da das zu unliebsamen Überraschungen führen kann, sind hier die Chemie und die Sympathie zwischen den Geschäftspartnern unglaublich wichtig – ein Erfolgsfaktor, den wir nicht unterschätzen dürfen! (Schmitt 2017)
Im Orient ist das Verhandeln eine Leidenschaft
Hier wird in alle Richtungen gefeilscht. Aber mit Genuss und mit Stil. Der Orient ist die Wiege des Verhandelns. Verhandeln ist ein Ritual. Alle wollen selbstverständlich hohe Qualität zu einem möglichst niedrigen Preis, aber hier ist der Verhandlungsstil eher geprägt von Flexibilität, Sachlichkeit, einer guten Argumentation und von ganz besonderer Beharrlichkeit als von überschäumendem Temperament (Sergey 2005). Nach der Abgabe eines Angebots wird man Sie definitiv nach einem Preisnachlass fragen. Dass Sie den gewähren, zeigt Ihrem Geschäftspartner, dass Sie ihn schätzen.
Auch in der Türkei läuft das Business über den persönlichen Draht. Für unser westliches Gefühl wird dort eine Art Billard „über die Bande“ gespielt – und das dauert! Geduld ist ein Schlüsselwort, wenn Sie mit einem Türken am Verhandlungstisch sitzen. Nicht mit der Tür ins Haus fallen bitte. Nehmen Sie sich genug Zeit, und investieren Sie diese in die Kennenlernphase, seien Sie geduldig mit den Anekdoten und Erfahrungsberichten, die durchaus nicht immer reinen Business-Charakter haben müssen…
Das Thema Afrika will ich an dieser Stelle gar nicht eröffnen. Ich habe in Afrika in den letzten 10 Jahren gelebt und gearbeitet und weiß trotzdem noch immer nicht sicher, was genau ich tun muss, um mein Business hoch zu puschen. Da sich dieses Business dennoch gut entwickelt hat, sollte ich doch erklären, wie das passiert ist. Das dann aber ausführlich in einem separaten Artikel.
Verhandeln und Vertrieb lernt man als Firmeninhaber nicht in Seminaren, sondern im wahren Leben. Meine Intuition hat mich selten enttäuscht, meine Empathie war mein ständiger Berater, und mit diesen beiden ich habe manche Situationen gemeistert. Es gab natürlich auch Ärger, Verluste und Enttäuschungen, aber die haben mich aufmerksamer, geduldiger und letztendlich erfolgreicher gemacht.
Verhandeln ist ein hoch interessantes Gebiet, und unsere Entwicklung auf diesem Gebiet erfordert vor allem Menschlichkeit. Denn die Verhandlungspartner sind Menschen, geprägt genau wie wir von Traditionen, Kultur und Individualität. Je mehr wir uns trauen, umso größer wird unser Erfahrungsschatz und umso stärker unsere Intuition.