Wenn jemand plötzlich die Notbremse im Zug zieht, sind alle Passagiere schockiert, dann purzeln sie durcheinander, und am Ende fragen sie sich: Wer war das? Und wenn du derjenige warst, der die Notbremse gezogen hat? Du selbst bist gefasst und überzeugt, dass es richtig war. Du bist nicht erschüttert, weil es deine notwendige Entscheidung war.
Doch wann muss die Notbremse gezogen werden?
Meine Antwort ist klar: bevor der Zug gegen die Wand fährt.
Markus W. ist ein Nachbar von mir. Er war mit seiner Idee gestartet und schnell vorangekommen. Sein Sanitärgeschäft lief gleich so gut, dass er die Mitarbeiterzahl von 2 auf 5 erhöhen musste. Schon nach dem ersten Quartal kamen mehr und mehr Kundenaufträge, und das Licht in seinem Arbeitszimmer zuhause blieb bis spät abends an. Seine Frau war verständnisvoll, und durch die digitale Verbindung zum Geschäft konnte er die nicht erledigten Aufgaben zuhause erledigen. Morgens brachte er die Kinder zur Schule und fuhr danach direkt zum Geschäft. Ein Jungunternehmer auf Erfolgskurs – dachte ich und kehrte gedanklich zu meinen Anfängen vor mehr als 20 Jahren zurück.
Das muss genauso sein – ist immer meine Überzeugung gewesen. Wenn du etwas Großes erreichen möchtest, musst du Großes leisten. Wir Unternehmer haben die Fähigkeit, das, was wir tun, zu lieben. Und Markus liebte seine Schöpfung ganz offensichtlich und lächelte schon beim Telefonieren aus dem Auto, wenn er morgens mit den Kindern losfuhr. Am Sonntag drehte er auch pünktlich um 9 Uhr seine Joggingrunde und verschwand dann wieder in seinem Arbeitszimmer. Erfolg pur – strahlte sein Gesicht auch abends aus, wenn er kurz vor das Haus trat, um den Müll rauszubringen.
Im April dieses Jahres war er plötzlich nicht mehr zu sehen. Dienstreise? Nein, auch nach drei Wochen noch fuhr seine Frau Sabine die Kinder zur Schule. Als ich sie ansprach, sagte sie kurz: „Er hat Burnout.“ Wie bitte? Was ist passiert? Er sah doch kerngesund aus! In der Tat war Markus in einer Klinik und erholte sich langsam.
Die simple Erklärung seiner Frau war: „Es war ihm alles zu viel geworden!“
Die Krise, deren schmerzhafte Auswirkungen oft erst im April dieses Jahres deutlich wurden, verlangt uns allen sehr viel ab. Wer wünscht sich schon einen Lockdown, Kurzarbeit, Kreditanträge und die Notwendigkeit, Mitarbeiter zu kündigen. Niemand! Wir alle mussten uns mit der gewaltigen Welle des ersten Lockdowns auseinandersetzen. Die Kosten blieben unverändert, aber die Aufträge reduzierten sich rapide. Auch Markus konnte in den Häusern keine Bäder mehr einrichten und musste seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Und als diese Maßnahme nicht half, musste er zwei seiner Leute kündigen. In seinem Geschäft war es still geworden, sein Alltag fühlte sich leer an, und Markus sah niedergeschlagen aus.
Zuhause war es auch nicht besser. Die Kinder waren aufgeregt, die Isolation von ihren Freunden hatte ihre natürliche Vitalität in Hyperaktivität verwandelt. Selbst im Arbeitszimmer fand er keine Ruhe mehr. Vor seinen Augen zeichnete sich bereits die fürchterliche Situation ab, die für jeden Selbständigen den Horror bedeutet: Insolvenz! Alleine das Wort trieb ihn an den Rand des Wahnsinns. Und dann das AUS.
Kurz vorher hatte Markus noch mit seiner Bank telefoniert und geschrieben. Und er erhielt eine staatliche Unterstützung. Die Löcher konnten damit gestopft werden, zwei Monate später öffneten seine Mitarbeiter das Geschäft wieder, und die Arbeit begann.
Nur Markus war nicht da. Eines Tages sah ich ihn in seinem Garten arbeiten. Er war nach der Reha nach Hause gekommen und erklärte mir nun das Geschehen: „Ich habe die Notbremse gezogen“ – sagte er. „Es war 5 vor 12 für mich geworden. Der Stress hat mich krank gemacht.“
Ich erinnerte mich an die Worte seiner Frau:
Burnout!
Burnout ist noch keine eigenständige medizinische Diagnose, leider jedoch vielen Menschen bekannt. Auslöser ist häufig andauernder Stress am Arbeitsplatz. Die Symptome Antriebsschwäche, negative Gedanken und Gefühle können in eine Depression münden.
Auch Markus hatte dem negativen Stress schließlich nicht mehr standgehalten. Der belastende Druck aufgrund der Situation seines Unternehmens hatte seine Toleranzschwelle überfordert, aber Markus hatte die Alarmsignale seines Körpers zunächst ignoriert. Er wollte nur eins: sein Unternehmen retten. Doch die panische Angst vor dem drohenden Verlust lähmte ihn mehr und mehr, und die körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung lösten auch noch einen Domino-Effekt in seiner Familie aus. Der verzweifelte Einsatz für sein Unternehmen ließ ihm keine Kraft für die eigene Familie mehr, und er zog sich immer mehr zurück.
Sollte er alles verlieren? – Notbremse!
Markus war jetzt froh, dass er sie selbst gezogen hatte. Es war seine Entscheidung gewesen, mitten in der Corona-Krise seine Einstellung zu ändern, um nicht alles zu verlieren. Zum Schluss verriet er mir seine künftigen 4 Anti-Stress-Strategien:
- Ich vermeide Stress, indem ich mich bewusst einer potenziell stressigen, aber essentiell unwichtigen Situation erst gar nicht aussetze.
- Ich baue Stressabwehr-Instrumente in meinem Alltag ein und lasse nicht mehr jeden Stress an mich heran. Ich habe gelernt, Aufgaben zu delegieren.
- Ich bearbeite den Stress in einer unausweichlichen, bereits entstandenen Stress-Situation. Eins nach dem anderen ist jetzt die Devise, und wenn eins erledigt ist, dann
- baue ich den Stress nach jeder einzelnen Stress-Situation erst einmal wieder ab. Ich gönne mir einfach Erholungsphasen – Sport, Gartenarbeit oder spiele mit den Kindern.
Die unmittelbare Folge einer Notbremse ist zunächst schockierend, aber die Notbremse schützt uns vor Katastrophen. Wer kann besser als wir selbst die eigene Gesundheit schützen und eine Katastrophe verhindern? Warte nicht, bis es zu spät ist!