Punkt I. Wage den Perspektivwechsel
Beim Coaching wechselt man die Perspektive durch den „Meta Mirror“. Der Coachee beginnt damit, seine Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Das ist gar nicht so schwer, denn der Coach leitet diesen Prozess, stellt Fragen und leistet mentale Unterstützung. Aber brauchen wir denn immer einen Coach, wenn sich die wirtschaftliche Situation ändert und uns vor neue Herausforderungen stellt? Natürlich nicht! Der Unternehmer, eine Führungspersönlichkeit, sollte unter normalen Umständen selbst in der Lage sein, sein Unternehmen zu analysieren und – falls notwendig – gemeinsam mit seinen Führungskräften ein Krisenmanagement einzurichten.
Das ist „the best praxis“. Aber wie funktioniert diese Routine in einer außergewöhnlichen Krise, wie sie seit Anfang März dieses Jahres mit existenzbedrohender Gewalt das Leben unserer Unternehmen gefährdet und zu drastischen Veränderungen zwingt? Umsatz, Personal, Steuer, Kundenstruktur, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten … vieles hat sich verändert. Der „Lockdown“ – teilweise oder komplett – stellt Hindernisse in unseren Arbeitsalltag, lässt uns immer wieder stolpern und kann uns schließlich verzweifeln lassen: „Ich kann nicht mehr! Es geht nicht weiter!“.
Doch, es gibt (fast) immer Lösungen!
Und in meinem Unternehmen geht es weiter. Sogar besser als vorher.
Ehrlich, das ist kein Witz. In den letzten 7-8 Jahren hatte ich mich auf den Ausbau von Lingua-World im Ausland konzentriert. Die internen Arbeitsprozesse in Deutschland waren digitalisiert und gut koordiniert. Ich lebte das Leben einer digitalen Nomadin und entwickelte meine Fähigkeiten als internationale Unternehmerin in Europa und Afrika weiter. Leider stieß dieses Leben plötzlich auf ein Hindernis, und dieses hieß COVID-19. Seitdem lebe ich anders und widme meinem Unternehmen wieder meine ganze Kraft, Inspiration und Innovation.
Mein Leben erhielt einen neuen Schwerpunkt, und meine erste Aufgabe war es nun, mein eigenes Unternehmen wieder neu kennenzulernen. Dafür versetzte ich mich in die Rolle eines Beobachters und betrachtete zunächst die positiven Seiten: gutes Image, perfekte Struktur, zufriedene Kunden. Danach öffnete ich den Vorhang langsam immer weiter und entdeckte nach und nach auch die tückischen Fallen, die ich aus der Ferne nicht erkannt hatte:
- Die Kosten waren enorm hoch geworden: Unnötige Marketing Maßnahmen, Werbeaktionen und überflüssige, nicht produktive Arbeitsstellen. Jetzt nahm ich mir die Zeit, die Effizienz jeder Maßnahme und auch jeder Arbeitsstelle neu zu beurteilen und unnötige sowie wenig effiziente Ausgaben endlich zu streichen.
- Hohe Umsatzzahlen sprechen zwar für Erfolg, aber eben nicht immer. Der Gewinn ist das Kriterium, welches das Schicksal eines Unternehmens bestimmt.
- Die Kundenstrukturen veränderten sich plötzlich rasend schnell. Nicht mehr Schulferien und Feiertage, sondern die digitale Flexibilität unserer Kunden und unseres Angebots waren jetzt das ausschlaggebende Kriterium, welches die Anzahl der Anfragen und Aufträge bestimmte.
- Die Arbeitsbedingungen des „Home-Office“ erschienen auf den ersten Blick angenehm, aber nach einer Weile waren es viele Mitarbeiter leid, „vom Küchentisch“ und im Kreis der Familie (mit allen damit verbundenen Ablenkungs- und Störfaktoren) zu arbeiten. Die Arbeitsatmosphäre des Büros, die Kollegen und der gegenseitige Austausch wurden stark vermisst.
- Selbst die Rückkehr aus der Kurzarbeit lief nicht glatt. Es folgten Krankschreibungen aufgrund „Überlastung“. Die Leute mussten plötzlich aus dem „Urlaubsfeeling“ wieder zurück in die von Wettbewerb geprägte Wirtschaft. In einem Gespräch mit einer solchen Mitarbeiterin hörte ich auf einmal: „Schicken Sie mich bitte wieder in Kurzarbeit!“. Bei so einem Satz fragt man sich doch: höre ich richtig?! Empörung ist erstmal unvermeidlich, hilft aber nicht weiter, deshalb erklärte ich (möglichst) ruhig:
„Die Kurzarbeit ist kein Erholungsmechanismus, sondern eine wirtschaftliche Maßnahme zum Erhalt des Unternehmens und damit auch ihres Arbeitsplatzes!“
Ein solcher Perspektivwechsel zeigt die Schwächen im Unternehmen auf. Sie präsentieren sich wie „auf dem Tablett“, und der Unternehmer hat eine Alternative und diese heißt: „Attacke. Schwächen beseitigen, Stärken stärken.“
Das ist der Weg, und er ist gar nicht schwer, wenn man die Kohlen aus dem Feuer holen muss. Dafür braucht man keine Schutzkleidung, sondern die Fähigkeit zu kommunizieren, zu analysieren, zu überzeugen und zu leiten.
Übrigens: ein Perspektivwechsel ist auch empfehlenswert gegenüber den uns liebgewordenen Gewohnheiten des „old school“ Führungsstils, denn:
- Leiten funktioniert heute auf Augenhöhe.
- An Stelle von Autorität ist Respekt gefragt.
- Bloße Anordnungen werden durch gegenseitige Inspiration und weitgehende Beteiligung an Entscheidungsprozessen ersetzt.
- Innovative Ideen der Mitarbeiter werden anerkannt und wertgeschätzt.
- Mut und Experimentiergeist werden gelobt.
Unternehmen krisenfest zu machen, ist meine Pflicht und meine Ehre. Unternehmertum ist kein Beruf, es ist Berufung, die uns zu Helden machen kann. Besonders in Zeiten wie diesen.