Punkt III. Mitarbeiter zu führen ist eine Gabe. Was ist beim digitalen Führen anders?
Nach dem ersten Alarm wegen des tödlichen Virus` wurde gehandelt. Homeoffice und Homeschooling wurden in unser Arbeitsleben integriert, und ganz besonders wir mussten uns ändern. Für mich war das einfach, da das Filialsystem von Lingua-World schon seit 2003 auf digitale Führung setzte, für meine Mitarbeiter jedoch nicht. Die kleinen Teams in den Städten wurden auseinandergerissen, der Hauptsitz in Köln verlor seinen Glanz. Die persönlichen Gespräche, das Lachen, der Geräuschpegel in den Büros, die Besucher mit den Zeugnissen und sogar der Paketdienst für die Nachbarn waren auf einmal nicht mehr da. Stattdessen genoss nun das Schild mit den Angaben über die neuen Erreichbarkeiten seinen besonderen Platz an den Eingangstüren. Es wurde still und dunkel, da das menschliche Treiben fehlte und die Lichter in den Büros nicht mehr die Fenster beleuchteten …
Die Aufgabe, die ich mir zu stellen hatte, war natürlich, die Produktivität des Unternehmens bestmöglich aufrechtzuerhalten. ZOOM- und Skype-Konferenzen waren für mich zwar nichts Neues, aber die ganze Firma digital so zu führen, dass das Gefühl der Gemeinschaft deutschlandweit erhalten bleibt? Das war sogar für eine digitale Nomadin wie mich ein Experiment. Das erste Meeting startete, und ich sah nicht nur die Gesichter meiner Mitarbeiter, sondern auch die differenten Küchen-, Wohn- und Arbeitszimmer Einrichtungen. Die Kommunikation begann, nach ein paar Sekunden ging alles flott und war trotzdem anders.
Die große Kunst beim digitalen Führen ist, die Emotionen nicht zu verlieren, obwohl du alleine im Zimmer bist.
Dafür brauchst du die Emotionalität aller Beteiligten, deren Begeisterung für die Arbeit und Akzeptanz der Situation. Und mal ehrlich, – ist es nicht schön zu wissen, dass deine Mitarbeiter (und für diese, die Kollegen) in einem geschützten Raum ohne Ansteckungsgefahr sitzen und trotzdem für die Kunden da sind! Das Gefühl der Sicherheit für die Gesundheit und das Leben derjenigen, die den Bund deiner Firma bilden, ist doch auch ein tolles Gefühl. Natürlich kannst du keinen Kaffee aus der Firmenküche anbieten, aber du kannst mit einem breiten Lächeln beginnen, welches viele Lächeln als Antwort zu dir zurückbringt. Und Zeit für Smalltalk und Komplimente ist auch digital keine Zeitverschwendung, sondern eine neue Form jener Normalität, auf die in den Analogzeiten oft nicht so viel Wert gelegt wurde.
Als Führungskraft werden wir nicht geboren, aber Führungskraft sollte nur der/diejenige sein, welche(r) Menschen liebt, versteht und unterstützt. Genau in diesen digitalen Momenten sieht jeder Mitarbeiter dein Gesicht, und du darfst wirklich Gesicht zeigen. Keiner schaut weg, wenn du nach der Stimmung fragst, keiner denkt an etwas Anderes, wenn es um die Schwierigkeiten geht, die durch den Lockdown entstanden sind. Im Gegenteil, positive Beispiele aus anderen Standorten geben jedem Halt. Das Teamgefühl wächst, wenn du dem Team Gefühle schenkst. Klatschen nach einer guten Nachricht ist in einem realen Konferenzraum eher nicht üblich, aber im digitalen Meeting ist es nicht nur OK, es zaubert allen wieder ein Lächeln ins Gesicht und erhöht Aufmerksamkeit und Motivation. Der Chef klatscht, seine Augen leuchten, und sein Lächeln schenkt Freude, weil es ehrlich ist.
Aber auch Trauer und Tränen haben in meinem digitalen Konferenzraum geherrscht,
als ich die Nachricht über die schwere Erkrankung einer Mitarbeiterin überbringen musste. Unsere Herzen waren betrübt, ich sprach und weinte… Ich glaube nicht, dass jemand in diesem Moment an die Unterschiede zwischen digital und analog dachte. Den menschlichen Gefühlen ist es egal, auf welchem Weg sie übertragen werden. Hauptsache die Menschen haben Gefühle und zeigen diese.
Langsam merken wir, wie digitales Führen um einiges positiver gestaltet werden kann und stellen fest: es funktioniert. Unser Leben läuft weiter, das Geschäft lässt sich auch so führen. Es entwickelt sich eine neue Normalität, die allerdings auch einige neue Gesetze hat. Transparenz, offene Worte, Respekt und Kommunikation auf Augenhöhe kannten wir schon vorher. Am Monitor zeigt sich aber deutlicher, ob du deine Leute wirklich ins Herz geschlossen hast, oder nicht. Deine Kamera ist auf dein Gesicht fokussiert und zeigt dich nicht nur als Fachkraft, sondern als Mensch.
Wir waren uns einig, nur echte Menschen haben es verdient, gute Teams zu führen! Jedes Hindernis, jedes Problem, jede Krise lässt sich managen, wenn das Team es wirklich will. Seine Kraft kann Berge versetzen und das unmöglich Scheinende möglich machen, wenn vor ihm ein Mensch steht, der auch emotional berühren kann. Diese Krise ist nichts anderes als jede Prüfung, vor die uns das Leben stellt. Die besten Schüler werden auch diese Prüfung bestehen!